Bei Familienkonflikten stellt sich dir möglicherweise die Frage: Soll ich meinem Partner bzw. meiner Partnerin gegenüber treu bleiben? Oder halte ich lieber zu meiner Ursprungsfamilie? Hinzu kommt, dass meist jeder von dir erwartet, dass du dich auf seine oder ihre Seite stellst. Das ist ein Dilemma, weil es im Alltag oft leider nicht funktioniert, loyal zu beiden Parteien bzw. zu allen Menschen zu sein, die dir wichtig sind.
In diesem Beitrag stelle ich dir das sogenannte „Drama-Dreieck“ vor. Es erklärt, warum Familienstreitigkeiten häufig nicht geklärt werden können und wie du verhindern kannst, dass du zwischen die Fronten von Partner/Partnerin und Familie gerätst. Und ich zeige dir, wie du diese Drama-Dreieck auflösen und dem Dilemma entkommen kannst.
Was ist ein Drama-Dreieck?
Das Konzept des „Drama-Dreiecks“ stammt aus der Transaktionsanalyse, die sich mit zwischenmenschlicher Kommunikation beschäftigt. Es beschreibt ein sogenanntes „Spiel“: ein in diesem Sinne destruktives Kommunikationsmuster zwischen mehreren Personen. Im Drama-Dreieck haben sich unbewusst feste Verhaltensmuster entwickelt, die den Familienkonflikt aufrechterhalten, statt ihn zu lösen.
Die Rollen im Drama-Dreieck
Im Zentrum des Drama-Dreiecks stehen drei Rollen:
- Ein Verfolger/Täter, der kritisiert, bevormundet, angreift
- Ein Opfer, das sich hilflos fühlt und nach Unterstützung sucht
- Ein Retter, der uneigennützig helfen möchte, aber dabei meist die Verantwortung für andere übernimmt
Verfolger/Täter
Opfer Retter
In einem Familienkonflikt nehmen alle Personen, z.B. du selbst, dein Partner oder deine Partnerin und deine Familie bzw. Teile deiner Familie jeweils eine der Rollen ein.
Ein Beispiel:
Deine Mutter oder dein Vater kritisiert (Verfolgerrolle) deinen Herzensmenschen, der sich peinlich berührt fühlt (Opferrolle), und du versuchst zu vermitteln und zu helfen (Retterrolle). Das Drama-Dreieck ist gebildet, der Familienkonflikt beginnt.
Diese Rollen zwischen den Beteiligten können je nach Situation wechseln. So nimmt im Laufe des Konflikts das Opfer beispielsweise die Rolle des Retters ein, indem es den vorherigen Verfolger in Schutz nimmt („So hat er/sie es doch gar nicht gemeint“ oder „Er/sie hat aber gerade auch ganz schön viel Stress“) und als Opfer behandelt. Daraufhin gerät der vorherige Retter in die Rolle des Verfolgers und greift an („Für dich werde ich nicht noch einmal Partei ergreifen, wo du mir so in den Rücken fällst …“).
In jeder der Rollen sieht jeder die jeweils anderen Personen entweder als überlegen an und fühlt sich selbst unterlegen – oder umgekehrt: die anderen werden von oben herab als unterlegen betrachtet und die eigene Person als überlegen. Die Auswirkungen des Drama-Dreiecks verursachen so (weitere) Spannungen im Beziehungsgefüge und können zu noch mehr Konflikten in deiner Partnerschaft und Familie führen und die Beziehungen (weiter) belasten. Eine Kommunikation auf Augenhöhe, wie sie eigentlich in Erwachsenenbeziehungen in der Regel stattfinden sollte, ist nicht mehr möglich.
Auch zwei Personen, z.B. also ihr als Paar, können ohne Beteiligung der Familie in ein Drama-Dreieck geraten und die jeweiligen Rollen mehrfach wechseln.
Wie du ein Drama-Dreieck in der Familie auflösen kannst – in 3 Schritten
Um aus dem Drama-Dreieck auszusteigen und in der Familie hilfreicher und weniger abwertend zu kommunizieren, ist es wichtig, auf Augenhöhe zu sein. Denn auf Augenhöhe ist es möglich, Respekt und Verständnis füreinander zu zeigen. Entscheidend ist dabei, dass du
- erkennst, dass ihr euch in nicht konstruktiven Rollen bewegt
- bereit bist, etwas an deinem Verhalten zu verändern
- dir bewusst machst, welche der Rollen du bevorzugt einnimmst und wie du stattdessen mit deiner Partnerin oder deinem Partner und deiner Familie reden möchtest
1. Die Rollen im Drama-Dreieck der Familie erkennen
Die Muster der beteiligten Familienmitglieder im Drama-Dreieck zu erkennen, hilft, den Gesamtzusammenhang der Verhaltensweisen im Familienkonflikt zu sehen und erleichtert es dann, aus der eigenen Rolle auszusteigen und so das Drama-Dreieck aufzulösen.
Grundsätzlich kann jeder Beteiligte jede Rolle einnehmen. Personen neigen gleichzeitig meist eher zu bestimmten Verhaltensmustern als zu anderen: Wir zeigen eine Rolle häufiger als die anderen Rollen. Meist ist es die Rolle, die wir bereits in unserer Kindheit in der Familie innehatten.
Wichtig ist also, sich bewusst zu machen, in welches dieser Muster wir häufiger mehr oder weniger unbewusst verfallen, für welche Rolle wir anfällig sind. Das sorgt dann dafür, dass wir es schließlich rechtzeitig merken, bevor wir in einem Familienkonflikt in das Drama-Dreieck einsteigen und wir können so vermeiden, eine Rolle einzunehmen: Wir vermeiden, in den Kreislauf aus Anklagen, Hilflosigkeit und Rettungsversuchen einzusteigen.
Die folgenden Verhaltensweisen und Eigenschaften kennzeichnen Personen in der jeweiligen Rolle. Aber nicht alle genannten Merkmale müssen jeweils zutreffen.
Verfolger/Täter
- Macht Vorwürfe, weist andere zurecht und beschuldigt sie
- verhält sich herablassend
- urteilt
- findet regelmäßig Fehler bei anderen und macht sie darauf aufmerksam
- reagiert häufig mit Unverständnis auf bestimmte, als negativ angesehenen Eigenschaften von anderen
- ist konfliktfreudig
- will gerne recht haben, weiß es besser als andere, ist davon überzeugt, dass seine Sichtweise die einzig richtige ist
- ist des Öfteren der Meinung über ein größeres Wissen als die anderen zu verfügen und mehr Fähigkeiten als sie zu haben
- missachtet die Bedürfnisse und Fähigkeiten von anderen
Opfer
- Fühlt sich hilflos und wünscht sich Unterstützung
- Ist schnell überfordert
- gibt anderen die Schuld an seiner Lage
- neigt gleichzeitig dazu, sich zu verteidigen und zu entschuldigen
- zeigt sich unterwürfig
- verleugnet seine eigenen Fähigkeiten und glaubt nicht daran, aus eigener Kraft aus der unangenehmen Situation herauszukommen
- hofft, dass andere für ihn sorgen und für ihn Entscheidungen treffen und überträgt so die Verantwortung für sich selbst auf andere
- ist konfliktscheu
- hält die Vorstellungen und Meinungen von anderen für bedeutsamer als seine eigenen
- nimmt sich selbst wenig wichtig, achtet nicht auf seine Bedürfnisse und setzt sich wenig für seine eigenen Interessen ein
Retter
- Wirkt fürsorglich (wie ein Elternteil) und hat ein starkes Bedürfnis, anderen zu helfen
- setzt sich selbstlos für die Interessen anderer ein
- ergreift für andere Menschen Partei und unterstützt sie
- gibt häufig Ratschläge und glaubt, die „richtige“ Lösung zu kennen
- ist ein „Kümmerer“, der oft auch ungebeten und ungefragt Unterstützung bei Problemen gibt
- traut dem anderen seine Fähigkeiten und Möglichkeiten des Umgangs mit einem Konflikt nicht zu bzw. missachtet dessen Kräfte, für sich selbst einzustehen – und spricht ihm damit seine Eigenverantwortung ab
- übernimmt die Verantwortung für den anderen
- versucht bei Konflikten die Harmonie wieder herzustellen und ist grundsätzlich harmoniebedürftig
Solange wir in Familienkonflikten in Kategorien von Täter und Opfer oder von zwei „Lagern“ (Opfer und Retter vs. Verfolger) denken, ist keine Lösung des Konflikts möglich. Indem wir eine dieser Rollen annehmen, pressen wir die anderen Beteiligten in die anderen Rollen und sind verstrickt. Wenn wir dem anderen als Retter begegnen, machen wir ihn zum Opfer. Wenn jemand in einem Familienkonflikt die Schuld zuschieben, machen wir ihn zum Täter.
2. Das eigene Verhalten im Drama-Dreieck reflektieren
Dass wir in einem Konflikt in der Familie in einer Rolle stecken, ist uns meist nicht bewusst. Daher ist es wichtig, sich das eigene Verhalten und dessen Auswirkungen auf andere Familienmitglieder klarzumachen.
Zunächst ist es erhellend, zu verstehen, dass es einen Sinn macht, wenn wir bestimmte Rollen übernehmen und gelernte Muster aufrechterhalten: Wir haben etwas davon, wenn wir uns gemäß der jeweiligen Rolle verhalten. Aus diesem Grund haben wir sie häufig bereits als Kind gelernt und beibehalten. Heute ist die Rollenübernahme dann zu einem festen Verhaltensmuster geworden und steht einer konstruktiven Konfliktlösung in der Familie im Weg.
Um der Verstrickung zu entkommen und das Drama-Dreieck in der Familie aufzulösen, müssen wir uns anders verhalten als wir es gewöhnlich tun. Dabei können dir die folgenden Fragen helfen:
Im Allgemeinen
- Für welche der Rollen im Drama-Dreieck hast du eine gewisse „Vorliebe“?
- Woran merkst du grundsätzlich, dass du in einer Rolle bist – und in welcher?
- Wem gegenüber nimmst du bevorzugt welche Rolle ein?
- Welche Verhaltensmuster bei anderen magst du nicht?
Im aktuellen Familienkonflikt
- Woran merkst du im aktuellen Familienkonflikt, in welcher Rolle du bist?
- Woran erkennst du, wer aus der Familie sich in welcher Rolle befindet?
- Was hast du davon, dass du aus dieser Rolle heraus agierst? Welcher kleine Vorteil entsteht dir daraus?
- Welche Nachteile hast du, weil du diese Rolle innehast?
- (Wann) Hast du möglicherweise die Rolle gewechselt?
3. Aus dem Drama-Dreieck aussteigen
Du hast lediglich eine einzige Möglichkeit, aus dem Drama-Dreieck zu entkommen: Mach dir dein Verhaltensmuster bewusst und steig aus der Rolle aus!
Begib dich stattdessen auf Augenhöhe: Begegne deinem Partner beziehungsweise deiner Partnerin und deiner Familie als gleichwertige Personen und behandle sie respektvoll. Nur so könnt ihr eure Familienprobleme konstruktiv lösen.
Das erfordert, dass du
- die anderen wertschätzt
- sie so lässt, wie sie sind
- die Personen ermutigst, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen zu benennen
Entsprechend deiner jeweiligen Rolle bedeutet das konkret:
Die Täter-/Verfolgerrolle verlassen
- Verstehe andere Menschen, genau wie dich selbst, als Personen die hin und wieder Fehler machen.
- Mach deutlich, dass auch du, wie alle anderen, verletzbar bist.
- Achte auf das, was dein Familienmitglied auszeichnet, was du an ihm oder ihr schätzt.
- Sieh die Meinung der anderen als genauso wertvoll an wie deine eigene und lass die Meinungen gleichberechtigt nebeneinanderstehen.
- Streite nicht über Einstellungen.
- Suche nach Lösungen – am besten gemeinsam mit den Mitgliedern deiner Familie.
- Sprich über dich und nicht über andere: Sende Ich-Botschaften wie z.B. „Mir ist wichtig, …“ und spricht nicht per „du solltest“ oder „man sollte“.
- Übe dich in Einfühlungsvermögen, wenn du selbst, ein Familienmitglied oder dein Partner empathielos
- Schalte eine neutrale Person zum Vermitteln ein oder bitte einen professionellen Mediator/ eine Mediatorin um Hilfe.
- Versuche einmal, dir selbst etwas (mehr) von dem zu erlauben, was du an anderen ablehnst (Manchmal sind wir sehr hart zu uns selbst – und in Folge auch zu anderen).
- Auch ein wenig Humor kann helfen …
Die Opfer-Rolle verlassen
- Ermutige dich, indem du überlegst, wie du früher ähnliche Situationen bewältigt hast.
- Arbeite daran, dein Selbstwertgefühl zu steigern.
- Sage, worum es geht, aber verteidige oder rechtfertige dich nicht.
- Werde selbst aktiv und finde Bereiche, in denen es dir möglich ist, Verantwortung für dich zu übernehmen.
- Versuche Schritt für Schritt etwas zu tun, das dir hilft und das dich besser fühlen lässt (statt dich hilflos zu fühlen).
- Bitte nicht deine Familienmitglieder um Unterstützung, sondern suche dir andere Helfer.
- Frage dich: Wie und wodurch habe ich dazu beigetragen, dass ich zum Opfer wurde?
- Entwickle deine Willensstärke, indem du dort anfängst, dich zu behaupten, wo es dir am leichtesten fällt.
Die Retter-Rolle verlassen
- Traue deinen Familienmitgliedern zu, für sich selbst einzustehen und eigene Entscheidungen zu treffen.
- Überlass deinem Partner/ deiner Partnerin und deiner Familie die Verantwortung für sich selbst.
- Frage den anderen, ob er Unterstützung braucht und wobei genau (und biete deine Hilfe nicht ungefragt an).
- Unterstützte den anderen dabei, sich selbst zu helfen.
- Übe dich in Geduld und Abwarten, greife nicht sofort ein.
- Ertrage, dass es dem anderen nicht gut geht und dass er die Sache möglicherweise nicht so leicht bewältigen kann wie du.
- Mach dir klar, dass du dem anderen die Chance nimmst, die Herausforderung selbst zu schaffen, wenn du eingreifst.
- Achte darauf, ob Geben und Nehmen gegenüber anderen in der Regel ausgeglichen sind.
- Lass dich auch selbst einmal unterstützen und bitte um Hilfe – auch, wenn es dir nicht leichtfällt.
Lass also nicht zu, dass du zwischen die Fronten von Partnerschaft und Familie gerätst, indem du aus Gewohnheit ein Verhaltensmuster übernimmst. Und lass dich auch nicht durch das Verhalten der anderen zu einer festen Rolle „einladen“. Behandelt einander wie erwachsene Personen. Du kannst nicht bestimmen, wie sich ein Familienmitglied oder dein Partner verhält – aber du bist frei zu entscheiden, wie du auf darauf reagierst.
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Sandra Konrad, Nicht ohne meine Eltern. Wie gesunde Ablösung all unsere Beziehungen verbessert*